Ein Nachruf von Christoph BausenweinFranz Beckenbauer

Ein Nachruf von Christoph Bausenwein: Franz BeckenbauerFoto: Imago / Werek
Franz Beckenbauer am Ball

Franz Beckenbauer war ein Genie des Erfolgs. Er war neben Gerd Müller und Sepp Maier der Garant dafür, dass der FC Bayern zur deutschen Fußball-Supermacht aufsteigen konnte. Er hat alle Titel gewonnen, die es im Fußball zu gewinnen gibt. Er war 1974 Weltmeister als Spieler und 1990 Weltmeister als Trainer, als Bayern-Präsident schob er den Bau der Allianz-Arena an, und als Funktionär hat er das Sommermärchen, die WM 2006, nach Deutschland geholt. Bis heute ist er weltweit der wohl bekannteste und berühmteste Deutsche.

Franz Beckenbauer begeisterte als außergewöhnlicher Stilist. Er prägte die Position des „freien Mannes“, des Liberos, mit einer unnachahmlichen Leichtigkeit, Lockerheit und Eleganz, er setzte mit seinen Außenrist-Pässen Glanzpunkte der Fußballkunst, und wenn er mit stets hoch erhobenem Kopf das Spiel ankurbelte, strahlte er eine wahrhaft „kaiserliche“ Überlegenheit und Unverwundbarkeit aus. Zu einer Zeit, in der auf dem Rasen vor allem gerackert wurde, zeigte er den Deutschen, wie man den Kampf um das runde Leder ästhetisch veredeln kann.

Franz Beckenbauer war ein überragender Exponent des deutschen Fußballs. In New York am Ende seiner Spielerkarriere zum Weltmann gereift, dann als Trainer in Rom zur Lichtgestalt aufgestiegen, avancierte er in seiner dritten Karriere als Fernseh-Experte und Fußball-Plauderer zu einer unverwechselbaren Marke: Immer charmant und nett, unterhaltsam und auftrittssicher selbst dann, wenn er Blödsinn erzählte. Schließlich repräsentierte er Deutschland als „Reisekaiser“ auf dem internationalen Parkett mit einer wahrhaft monarchischen Aura.

Franz Beckenbauer war aber auch ein ehrgeiziger Kämpfer. Selbst wenn er auf dem Platz meist so wirkte, als müsse er sich nicht anstrengen – wenn es darauf ankam, konnte er sich mit Verve reinhauen, so wie etwa 1970 in Mexiko beim berühmten „Jahrhundertspiel“ gegen Italien, als er sich mit einem Schulterverband über die Zeit quälte. Auch wenn es manchmal so aussah, als würde er seinen Trainerjob nicht richtig ernstnehmen – er war stets fleißig und einer der ersten, die eine systematische Spielanalyse betrieben. Und wenn er später zu seinen Jobs angeblich immer erst überredet werden musste – er strengte sich immer ungeheuer an, ein würdiger Repräsentant zu sein, sei es für den FC Bayern oder für den DFB.

Franz Beckenbauer war eine außergewöhnliche Erscheinung. Was aber genauso stimmt: Der „Kaiser“ hatte bei allen seinen Erfolgen immer auch Glück; als Spieler wurde er bewundert, aber den Weg in die Herzen der Fans fanden andere; als Teamchef der deutschen Elf hatte er anfangs weder das Geschehen noch seine Nerven im Griff; als Dauer-Werber auf allen Kanälen war er präsent bis zum Überdruss; als Macher des Sommermärchens war er nicht so selbstlos, wie er behauptete, und bei der Vergabe der WM nach Deutschland spielte er eine dubiose Rolle, über die er die Öffentlichkeit niemals aufgeklärt hat.

Franz Beckenbauer hat immer auch Kritiker auf den Plan gerufen. Doch vernichten konnten sie ihn nie. Sie konnten dem Spieler Beckenbauer Arroganz vorwerfen – aber es ließ sich nie bestreiten, dass Beckenbauer ein besonderer Spieler war. Sie konnten die Fähigkeiten des Trainers Beckenbauer bezweifeln und seine Ausraster bekritteln – doch sein Erfolg sprach für sich und bei der WM 1990 war Deutschland tatsächlich das beste Team. Sie konnten das Geplauder des Experten Beckenbauer belächeln – doch sein Charme und seine humorigen Sprüche blieben bestechend. Sie konnten die Werbe-Exzesse Beckenbauers als nervig ansehen – doch seine Präsenz überstrahlte stets jedes beworbene Produkt. Sie konnten ihn als Lügner und Betrüger anklagen – doch das Sommermärchen von 2006, das plötzlich ein freundliches und weltläufiges Deutschland hat entstehen lassen, bleibt trotzdem sein Verdienst.

Das Publikum hat Franz Beckenbauer immer wieder alles Mögliche verziehen, seine Steuerflucht etwa, seine Wutanfälle und sogar ein uneheliches Kind. „So groß ist das Verbrechen nun auch nicht“, beckenbauerte er darüber hinweg. „Der liebe Gott freut sich über jedes Kind.“ Hätte er nach den Vorwürfen rund um die WM 2006 ähnlich reagiert, hätte er die Dinge frühzeitig transparent gemacht, seine Millionen-Gage eingestanden und zur Aufklärung der Korruption beigetragen, hätte man ihm vielleicht sogar verziehen, zumindest hätte er den Schaden kleiner halten können. Aber Beckenbauer verniedlichte das Geschehene nicht auf seine übliche Art mit launigen Sätzen bzw. Entschuldigungen wie etwa: ja gut – 5,5 und 6,7 Millionen, schaut’s euch doch mal um, das ist ja kein Geld heutzutag, jo mei, von irgendwas muss ich ja auch leben, die FIFA ist ein korrupter Laden, das wisst’s ja selber, und so billig hat noch kein Land eine WM bekommen. Am Ende seines Lebens hatte Franz Beckenbauer seine Souveränität, seinen Charme und seine nonchalante Art, mit Verfehlungen umzugehen, verloren. Stattdessen hatte er sich zurückgezogen und die gegen ihn erhobenen Vorwürfe in sich hineingefressen, am Ende standen eine lange Krankheit und ein viel zu früher Tod.

Es hat eine gewisse Tragik, dass den „Kaiser“ ausgerechnet zum Ende seiner Karriere das ihm sonst stets holde Glück verlassen hat. Aber was ändert das an der Gesamtbewertung seines Lebens? Stellvertretend für viele andere sagte Jürgen Klopp einmal: „Es gibt keine größere Fußballlegende in Deutschland als Franz Beckenbauer.“ Der „Kaiser“ hat sich mit seiner beispiellosen Karriere ein Denkmal gesetzt. Seit die Vorwürfe rund um die Vergabe der WM 2006 im Raum stehen, liegt ein Schatten darauf. Aber es gibt keinen Grund, dieses Denkmal umzustoßen. Franz Beckenbauer ist nun Geschichte, aber er wird wohl für immer die größte Ikone des deutschen Fußballs bleiben.

Dieser Nachruf stammt von Christoph Bausenwein, Autor des Buchs “Franz Beckenbauer. Kaiserjahre